Danke Jan! ME TOO? – Eine Entgegnung
Thanks Jan! ME TOO? – A reply
von/by Sophia Ryssèl-Ritz*
Die Metoo-Debatte ist wichtig, sie hat viel angestoßen, aufgedeckt und bewirkt. Die Ohnmacht der Frauen ist gewichen! Ich habe Respekt vor jeder Frau, die mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht! Dennoch ist es an der Zeit zu differenzieren.
The Metoo debate is important; it triggered, exposed and brought about a lot. The impotence of women has disappeared! I respect every woman who goes public with her story! Nevertheless, it is time to differentiate.
Von 1989 bis 1992 war ich Darstellerin bei Jan Fabre. Er hatte mich bei einem Vorspiel aus einhundert Bewerbern rausgesucht. Von einer unguten Atmosphäre bei den Proben war damals nichts zu spüren. Er behandelte alle korrekt, allerdings brüllte er manchmal rum. Wenn etwas nicht gleich klappte oder mal nicht hundert Prozent gespielt wurde, verlor er schnell die Geduld. Dabei ging es ihm immer um die Sache, er wurde nicht persönlich und brannte für das was er inszenierte. Ich als Ostmädchen, das gerade einen Ausreiseantrag (einschließlich stummer Rollen) überstanden hatte, konnte damit umgehen. Was hinter den Kulissen passierte, bekam ich nicht mit. Später wurde mir erzählt, dass er hin und wieder mit einer Tänzerin schlief. Na und. Wir alle waren jung und er war jung und charismatisch. Fabre liebte seine Darsteller und Darstellerinnen, bei ihm kam keiner auf die Bühne, der ihm gleichgültig war und viel Spaß gab es natürlich auch.
From 1989 to 1992 I was an actress with Jan Fabre. He had picked me out of a hundred applicants during an audition. At that time there was no sign of an unpleasant atmosphere during the rehearsals. He treated everyone correctly, but he sometimes roared around. If something did not work right away or was not played one hundred percent, he quickly lost patience. He was always concerned with the matter, he did not become personal and was passionate about what he staged. As a girl from the East who had just survived an application to leave the country (including silent roles), I was able to handle it. I didn’t notice what was happening behind the scenes. I was later told that he sometimes slept with a dancer. So what. We were all young and he was young and charismatic. Fabre loved his performers, no one came to the stage with him who was indifferent to him and of course there was a lot of fun.
Allem Genderwahn zum Trotz: es existiert auf der Bühne die Spannung zwischen den Geschlechtern. Bühne ist auch ein Ort von Libido, Schönheit und dem Dionysischen. Ein Ort, wo Nacktheit eben kein Pornoprodukt ist, das sagt: kauf mich, konsumier mich. Ja, ich kann das Unbehagen junger Schauspielerinnen bei heiklen Szenen verstehen- ich selbst hatte immer einen inneren Film mitlaufen, wenn ein Mann Regie führte: dient das jetzt der Rolle oder geht’s um einen privaten Lustgewinn. Als ich dann selber Regie führte war ich sehr erstaunt, dass meine Studentinnen freiwillig freizügige Szenen spielten, die ein Mann nicht so schnell bekommen hätte. Die ganze Sache ist also sehr komplex. Aber alle sind erwachsen, es handelt sich nicht um Schutzbefohlene und Erwachsene sollten wissen was sie tun. Bühne und Privatleben zu trennen ist gut (theoretisch), doch hin und wieder fallen Schauspieler und Schau-spielerinnen über einander her, weil einfach eine kreativ aufgeladene Stimmung herrscht und schöne Menschen sich ständig vor der Nase haben. Und die dürfen das dann, weil sie keine Rollen zu vergeben haben, im Gegensatz zum Regisseur? Das ist mir zu einfach, Künstler sind keine Beamte! Kunst war und ist nie korrekt!
Despite all the gender craze: there is tension between the sexes on the stage. Stage is also a place of libido, beauty and the Dionysian. A place where nudity is not a porn product that says: buy me, consume me. Yes, I can understand the discomfort of young actresses in sensitive scenes – I always had an inner film with me when a man directed it: is that the role now or is it about gaining pleasure privately. When I directed it myself, I was very surprised that my students voluntarily played revealing scenes that a man could not have gotten so quickly. So the whole thing is very complex. But they are all grown up, they are not under exceptional supervision and adults should know what they are doing. Separating the stage and private life is good (in theory), but now and then male and female actors fall over each other because there is simply a creatively charged mood and beautiful people are constantly in front of their noses. And they are allowed to do that because they have no roles to assign, unlike the director? It’s too easy for me, artists are not civil servants! Art was and is never correct!
Jan Fabre ist vielleicht hin und wieder schlechter Führungsstil vorzuwerfen, ich war später nicht dabei und kann es nicht wirklich einschätzen, aber eins ist sehr klar: Er ist nicht Harvey Weinstein, denn es gibt keine Vergewaltigungs-vorwürfe. Hier ist nicht Hollywood und es geht auch nicht um eventuelle Millionengagen.
Jan Fabre is maybe from time to time accused for bad leadership, I was not there later and cannot really evaluate it, but one thing is very clear: He is not Harvey Weinstein, because there are no allegations of rape. This is not Hollywood and it is not about a million dollar salary.
Und nun? Schnüffelt jetzt das Sex-FBI durchs Haus? Bricht eine neue Prüderie aus? Erscheint die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft gar in einem neuen Gewand? Heutzutage schauen Zehnjährige Pornos und Deutschlands liberales Bordellgesetz ermöglicht Menschenhandel und Sextourism – DAS gehört in meinen Augen abgeschafft.
And now? Is the sex FBI sniffing around the house now? Is a new prudery breaking out? Does the double standard of bourgeois society appear in a new guise? Nowadays, ten-year-olds watch porn and Germany’s liberal brothel law enables human trafficking and sex tourism – I think THAT should be abolished.
Fabre kommt aus einem kleinen Land. Er hat eine enorme, weltweite und langjährige Karriere hingelegt. In seinem Glanz haben sich viele gesonnt. Für mich war es ein Glück bei ihm arbeiten zu dürfen! Es herrschten luxuriöse Bedingungen, heute können junge Bühnenschauspieler von sowas nur träumen. Ein Monat nur Improvisation, zwei Monate Proben am Stück, anschließend Europatournee. Dafür galt es sich anzustrengen und es war nicht immer leicht, doch ich als Künstlerkind verstand ihn zutiefst und fühlte mich von ihm erkannt.
Fabre comes from a small country. He has had an enormous, worldwide and long career. Many used his splendor. It was lucky for me to be able to work with him! There were luxurious conditions, today young stage actors can only dream of something like that. One month only improvisation, two months rehearsals in a row, followed by European tour. It was necessary to make an effort and it was not always easy, but as an artist child I understood him deeply and felt recognized by him.
Die Metoo- Debatte hat starke Wirkungen hinterlassen, die Zeiten haben sich geändert, das ist gut so. Respekt für die Frauen! Dennoch geht es nicht um den digitalen Pranger und hysterisches Gleichgemache, sondern, dass sich etwas ändert. Nur darum! Die Metoo- Bewegung sollte in der Lage sein zu unterscheiden, jeder „Fall“ muss einzeln bewertet werden.
The Metoo debate has had a huge impact, times have changed, and that’s a good thing. Respect for women! Nevertheless, it is not about the digital pillory and hysterical leveling, but that something changes. That’s why! The Metoo movement should be able to differentiate, each “case” must be assessed individually.
Wie ich höre hat Jan Fabre seinen Führungsstil geändert, das war für ihn sicher nicht leicht. Die selbst auferlegten Kommunikationskontrollen sind richtige Schritte. Ich persönlich empfinde das Ganze als surreal, es stimmt mich traurig und ich würde zu ihm sagen: Sprich normal mit mir. Sein Bemühen sollte honoriert werden und er sollte wieder seine Arbeiten in Deutschland zeigen dürfen. Er hat der Welt noch eine Menge mitzuteilen, da bin ich mir sicher! Auf einen Skandal waren früher die Intendanten doch immer scharf, denn das belebte das Geschäft – oh ja,, das ist zynisch, aber so funktioniert Kapitalismus und in dem leben wir noch immer. Wer hat die Produktionsmittel, wer hat die Macht (die Metoo-Bewegung hält jetzt einen Teil in ihren Händen), wer vergibt Rollen und wie? Und darüber wird vergessen, dass wir MENSCHEN sind und dass das Leben bunt ist!
I hear that Jan Fabre changed his management style, it was certainly not easy for him. The self-imposed communication controls are the right steps. I personally find the whole thing surreal, it makes me sad and I would say to him: talk to me normally. His efforts should be rewarded and he should be allowed to show his work in Germany again. He still has a lot to tell the world, I’m sure of it! The directors were always keen on a scandal, because that stimulated business – oh yes, that’s cynical, but that’s how capitalism works and we still live in it. Who has the means of production, who has the power (the Metoo movement now holds part in their hands), who assigns roles and how? And it is forgotten that we are PEOPLE and that life is colorful!
Ich jedenfalls sage: Danke Jan! Danke für Paris, London, Wien, Sevilla, Berlin, Frankfurt, München, Rotterdam und Brüssel. Danke für Hotels, Buffets, Tumulte im Zuschauerraum (ja, das musste man aushalten) und immer jeden Abend stehende Ovationen. Danke für Können, Inspiration und Innovation. Für tolle, schwere, beglückende Proben und für spannende Mitspieler! Danke! Es war die beste Zeit, sie trägt mich noch heute.
In any case, I say: Thank you Jan! Thank you for Paris, London, Vienna, Seville, Berlin, Frankfurt, Munich, Rotterdam and Brussels. Thanks for hotels, buffets, commotion in the auditorium (yes, you had to endure that) and standing ovations every evening. Thank you for skill, inspiration and innovation. For great, difficult, delightful rehearsals and for exciting teammates! Thank you! It was the best time, it still carries me today.
* Schauspielerin Sophia Ryssèl-Ritz: geboren 6.3.1961 in Dresden, studierte 1979 bis 1983 an der Theaterhochschule “Hans Otto” in Leipzig, probte und spielte bei Jan Fabres “Der Palast um vier Uhr morgens” (1989) und in “Sweet Temptation” (1991/92).
* Actress Sophia Ryssèl-Ritz: born March 6, 1961 in Dresden, studied from 1979 to 1983 at the theater school “Hans Otto” in Leipzig, rehearsed and performed in Jan Fabres “The Palace at four in the morning” (1989) and “Sweet Temptation” (1991/92).